Strategiebildung für Hochschulen?

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Dr. Christian BertholdChristian Berthold
Geschäftsführender Gesellschafter der CHE Consult GmbH

Mit dem Strategen oder der Strategie bezeichneten die Griechen die Heerführung, und der Stratege war dann der Heerführer. Wer heute bei Google „Strategie“ eingibt, dem werden 56 Mio. Einträge angeboten, allein auf deutschsprachigen Seiten noch 1 Mio. Links. Das mag mancher als einen Hinweis auf die Militarisierung der gegenwärtigen Weltlage zurückführen. Vor allem aber deutet es wohl darauf hin, dass das Kriegswesen einen unendlichen Reichtum an Bildern und Metaphern bereit hält, insbesondere natürlich in allen ökonomischen Zusammenhängen, in denen wettbewerbliche Situationen leicht in Kriegsbilder transferiert und mit ihrer Hilfe erläutert werden können.

Deshalb hat die im deutschen Kontext vor allem von dem Kriegstheoretiker Clausewitz ausformulierte begriffliche Präzisierung gerade auch der Abgrenzung von Taktik und Strategie inzwischen längst den Alltagsprachgebrauch erreicht. Und von einer Strategie ist immer dann die Rede, wenn ein übergeordneter Plan verfolgt wird. Das führt dann manchmal auch zu den negativen Konnotationen im Sinne eines nicht offenen Handelns, das sich an anderen als den gerade in Rede stehenden Zielen ausrichtet, also quasi Hintergedanken verfolgt.
Der große Erfolg dieser metaphorischen Rede hängt also damit zusammen, dass sich im wirtschaftlichen Handeln wie in vielen alltäglichen Lebenssituationen bewährt, was auch im Krieg gilt: Man sollte die übergeordneten und möglicherweise mittel- bis langfristigen Ziele nicht aus dem Auge verlieren, wenn man sich mit den konkreten Anforderungen und Aufgaben befasst. Der Grundgedanke einer Orientierung an den Zielen wird inzwischen auf fast alle Ebenen des beruflichen – und in vielen Lebensratgebern selbst auch des privaten – Lebens angewandt. Man findet ihn in Ratgebern für Sitzungsmoderation ebenso wie in Hilfestellungen für die Karriereplanung, für die Alterssicherung, aber auch für das persönliche Zeitmanagement. Alles und jeder muss heute offenbar eine Strategie haben.

Für die Hochschulen kam die Frage die nach der Strategie natürlich im Kontext der jüngeren Hochschulreformen auf. So wie die Entscheidungen in den Hochschulen bis dahin im Wesentlichen getroffen wurden, konnte von so etwas wie einer Strategie meist keine Rede sein. Vielfach wurden sie überhaupt nicht getroffen, was auch damit zusammenhängt, dass die Gremienstrukturen darauf kaum ausgerichtet waren. Denn die Gremien waren durch die Art ihrer Zusammensetzung weder motiviert noch sachlich hinreichend kompetent, um in immer komplexere Entscheidungen der verschiedensten Bereiche fundiert urteilen und befinden zu können.

Und die Gremienmitglieder orientierten sich jeweils an ganz unterschiedlichen Kriterien, die von ihrer Fachkultur, von ihrer Gruppe, ihrem Fachbereich und ihrem je eigenen Verständnis der Hochschule abhingen. Im Zusammenspiel der Voten der Hochschule und der Ministerien, die selbst wieder komplexen Entscheidungsstrukturen zwischen politischen Vorgaben, rechtlichen Bedingungen und fachlichen Ebenen unterliegen, schienen sich viele Entscheidungen eher zu ergeben als dass sie im eigentlichen Sinne getroffen wurden.

Der Erfolg des Begriffs im Hochschulkontext geht also vor allem auf die Lücke zurück, auf das Fehlen von übergeordneten und mittelfristigen Vorstellungen davon, wohin sich eine Hochschule entwickeln soll und welche Entscheidungskriterien daraus resultieren. Und noch heute werden in Hochschulen immer gern Einwände gegen die Notwendigkeit, eine Strategie zu besitzen und sie auszuformulieren, vorgebracht. Da ist zum Einen – und vielleicht sogar am wirkungsvollsten – die herablassende Geste, mit der auf die Traditionen der Hochschulen als Institutionen verwiesen wird, die so einen modernen Schnickschnack nicht braucht.

Da ist zum Zweiten der Hinweis auf die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten. Die meisten Professuren seien ohnehin besetzt und könnten nicht kurzfristig neu besetzt werden. Das ist ein sehr ernst zu nehmender Einwand, weil der hohe Anteil an unkündbaren Stellen gerade auch bei den wissenschaftlichen Stellen in der Tat schnelle Schwenks in der Ausrichtung nahezu verunmöglicht. Zugleich ist dies aber auch einer der wichtigsten Gründe für die Notwendigkeit von so etwas wie einer Strategie innerhalb einer Hochschule. Gerade weil die Möglichkeiten begrenzt sind, die fachliche Ausrichtung auf neuere Entwicklung in Wissenschaft und Gesellschaft auszurichten, bedarf es eines übergeordneten und mindestens mittelfristigen Konzeptes. Nur so können die seltenen Gelegenheiten zur Veränderung – etwa mittels Berufungspolitik – wirkungsvoll genutzt und zum Zusammenspiel gebracht werden.

Mit diesem Punkt der Berufungen, die ja ohne Zweifel zu den gravierendsten Entscheidungen von Hochschulen gehören, hängt zugleich ein Planungsdilemma zusammen, dass die Hochschulen nicht auflösen können. Einerseits werden Professorenstellen für im Schnitt über 20 Jahre besetzt. Niemand wird ernsthaft behaupten, sie oder er vermöge über einen solchen Zeitraum weg plausibel zu prognostizieren, welche fachliche Ausrichtung eines Tages in einem bestimmten Fach benötigt werde. Und andererseits kann sich eine Hochschule kaum erlauben, deshalb nicht die Frage zu stellen, welche Fachlichkeit denn möglichst zukunftsträchtig sei.
Genau hieran aber hat es in den Jahrzehnten des Hochschulausbaus gemangelt, es wurde berufen, was aktuell benötigt wurde – und zum Teil wurden extrem kleinteilige fachlichen Anforderungen in den Urkunden festgehalten, so dass sich der eine oder die andere HochschullehrerIn nun mit Verweis auf die Berufung weigert, in anderen Felder zu lehren als sie oder er es über 20 Jahre getan hat.

Das Beispiel Berufung illustriert nur einen Grundkonflikt, dem Hochschulen nicht länger ausweichen können. Auch wenn es schwierig ist, solche übergeordneten und wenigstens mittelfristigen Konzepte zu verfassen, die Alternative dazu besteht allein darin, lange nachwirkende Entscheidungen anderen oder einer speziellen Form des Zufalls zu überlassen.

Ein dritter eher praktischer Einwand gegen die Notwendigkeit einer Hochschulstrategie lautet vielfach, dass man schmerzhafte Entscheidungen lieber anderen überlassen solle: Wenn Staat und Politik uns schon nicht die hinreichenden Mittel geben, wir selbst wollen jedenfalls nicht dieses oder jenes Fach schließen. Das ist eine beliebte Argumentationsfigur, die am Ende aber nur der Verantwortung ausweicht, denn das Entscheidungsproblem würde sich auch für gut finanzierte Hochschulen stellen. Gleichwohl kann hier nicht bezweifelt werden, dass es schwer ist, für Hochschulen Entscheidungen zu treffen. Das hängt u. a. damit zusammen, dass Hochschulen nun einmal im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen keinen vereinheitlichenden Zweck haben, sondern dass sich zwischen den verschiedenen Aufgaben von anwendungsbezogener und Grundlagenforschung sowie grundständiger Lehre und Weiterbildung und manchen anderen Aufgaben sowohl insgesamt Widersprüche auftun als auch im Bezug auf die verschiedenen Disziplinen. Aber auch hier gilt im Wesentlichen, dass die anstehenden Entscheidungen am ehesten in den Hochschulen mit Klugheit und Sachverstand getroffen werden können.

Eine Strategie für eine Hochschule liefert also vor allem Kriterien für Entscheidungen. Zwar ist die Strategie selbst auch eine Entscheidung, aber ihr Hauptzweck besteht darin, allen Mitgliedern der Hochschulen (teilweise auch Außenstehenden) zu signalisieren, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll. Daran können sich dann sowohl schwerwiegende und lang nachwirkende Entscheidungen des Typs Widmung einer Professur oder Fachbereichsstrukturen als auch kurzfristigere Entscheidungen wie zum Beispiel die Ausrichtung von Verwaltungsabläufen an den Zielen der Dienstleistungskultur ausrichten.

Für den Betriebswirt Detlef Müller-Böling war es nie eine Frage, dass eine jede Hochschule eine Strategie benötigt.

Deshalb befasste sich eine der ersten Tagungen des CHE bereits 1996 mit der Frage der „Strategieentwicklung an Hochschulen und Fachbereichen“. An dem einführenden Aufsatz1 der Tagungsdokumentation ist jedoch auch noch leicht erkennbar, wie neu der Gedanke damals noch war für die deutschen Hochschulen. Und die methodischen Ratschläge waren noch sehr stark darauf ausgerichtet, wie man in der Gremienhochschule überhaupt so etwas wie eine Strategie entwickeln kann. In der Folge haben sich viele CHE-Projekte damit befasst, wie man in Hochschulen Strategien bilden, entwickeln und formulieren kann. Dabei ging es im Prozess immer um die Balance zwischen der Beteiligung der Experten, die in den Bereichen und Fakultäten arbeiten auf der einen Seite und einer zentralen Prozesssteuerung und Entscheidungsfindung auf der anderen Seite, die sich nicht dem dezentralen Interessenspiel ausliefert.

Ein gutes Jahrzehnt weiter hat sich als Instrument zur Niederlegung einer Strategie inzwischen der Hochschulentwicklungsplan etabliert. In der Regel basiert er auf entsprechenden Plänen der Fachbereiche und verfolgt einen mehr-, z. B. fünfjährigen Planungshorizont. Dabei unterscheiden sich diese Papiere in der Realität oft erheblich. Ein wichtiges Qualitätskriterium wäre, ob der Plan auf die wirklichen Entscheidungen innerhalb der Hochschulen Auswirkungen hat, leicht ablesen kann man das an den Texten oft schon in Bezug auf die Professuren. Wenn die Konsequenzen der übergeordneten Ziele auf die Stellenwidmungen nicht im Plan selbst beschrieben sind, dann gibt es meist auch keine. Gute Pläne äußern sich durchaus zu langfristigen Zielen, sind sich aber zugleich darüber im Klaren, dass konkrete Planungen jenseits eines Drei- oder Fünfjahresrhythmus‘ keinen Sinn haben.

Viele Hochschulen haben inzwischen auch aus ihren Erfahrungen gelernt und verfassen knappere Texte, haben längst den Anspruch aufgegeben, in einem umfassenden Dokument einmal verbindlich festzulegen, wo die Reise dieser Hochschule hingehen soll. Vielmehr werden dann eher 50 bis 80 Seiten lange Texte verfasst, was dann je nach Größe und Komplexität der Hochschule der einzelnen Fakultät oder sonstige Einrichtung möglicherweise nur wenige Seiten Raum lässt. Für die zentralen Funktionen eines Entwicklungsplans – nämlich Entscheidungen zum Einen zu dokumentieren und zum anderen für weitere Entscheidungen Kriterien zu liefern – genügen Texte dieser Dimension vollkommen, solange sie den erwähnten Konkretisationsgrad dennoch erreichen (etwa in Bezug auf Eckprofessuren). Zudem können viele Hochschulen inzwischen auch an ihre Erfahrungen und Vorleistungen aus vorangegangenen Prozessen zur Strategieplanung anknüpfen und müssen nun bei erneuten Durchläufen nur noch Aktualisierungen und Anpassungen vornehmen.

Patentrezepte haben sich dennoch nicht eingestellt. Eine Strategie zu bilden und in einem Hochschul- oder auch Fakultätsentwicklungsplan niederzulegen hat noch immer mehrere zentralen Herausforderungen zu bewältigen.

  • Die Einbindung der notwendigen Kompetenzen in die Entwicklung kluger und weitsichtiger Antworten auf die zentralen Fragen.
  • Die hinreichende Akzeptanz für das Ergebnis, ohne die die spätere Umsetzung der Pläne kaum erfolgen wird.
  • Die Balance zwischen den Interessen einer Hochschule als Ganzer und den Interessen, aber auch den Verdiensten einzelner Bereiche oder Personen.
  • Den angemessen Grad zwischen allgemeinen und konkreten Zielen.
  • Die Verknüpfung der Pläne mit geeigneten Instrumenten der Umsetzung wie der Überprüfung zur Zielerreichung im Sinne eines akademischen Controllings.

In jedem Fall ist die Frage nach der Strategie oder den übergreifenden Zielen heute aus dem Management der Hochschulen nicht mehr wegzudenken. Längst haben etliche Länder es ihren Hochschulen zur Pflichtaufgabe gemacht, einen Hochschulentwicklungsplan zu verfassen. Zum Teil bildet er die Grundlage für Zielvereinbarungen. Aber auch für den Alltag in einer Hochschule kann man ohne eine Ausrichtung an so etwas wie einer Strategie keine Klarheit gewinnen. Wer keine Ziele benennen kann, lässt in aller Regel die gewachsenen und nicht selten historisch zufälligen Bedingungen fortbestehen.
Vielleicht die größte Herausforderung an dem was man strategisch orientiertes Hochschulmanagement nennen könnte, besteht im deutschen Kontext darin, dass ein solcher Steuerungsansatz eben gerade nicht gerecht ist. Er muss im Zweifel die sozusagen berechtigten Anliegen Einzelner und die Interessen von Fachbereichen zurückstellen zugunsten übergreifender Ziele. Zugleich ist aber in Rechnung zu stellen, dass bei allen strategischen Entscheidungen immer auch ein unbegründbarer Rest, ein dezisionistischer Kern sozusagen bleibt. Entscheidungen können eben nicht errechnet werden, sie betreffen ja grundsätzlich die unbekannte Zukunft, alle Planungsanstrengungen tragen im besten Falle zur Reduktion der Risiken bei, sie plausibilisieren die Entscheidung, sie legen mitunter bestimmte Tendenzen nahe, sie können sie nicht ersetzen – Entscheidungen bleiben Entscheidungen. Allein schon, ob eine einmal erkannte Stärke weiter gestärkt werden sollte oder Ressourcen und Anstrengungen nicht lieber auf den Abbau von Schwächen an andere Stelle gerichtet werden sollen, diese Antwort kann die Analyse nicht liefern.

Wenn aber strategisch orientierte Entscheidungen ihrem Wesen nach nicht gerecht sind und wenn sie letztlich immer nur unzulänglich begründet werden können, dann zeigt sich umso mehr die Dimension der Herausforderung, die einem strategischen Hochschulmanagement steckt. An dieser Stelle kommen dann auch die Visionen und Mission Statements ins Spiel, die Formen der Letztbegründung darstellen, aus denen sich mitunter strategische Entscheidungen ableiten lassen, die dem aber oft nicht genügen. Denn diese Texte müssen im Kleinen die gleichen Widersprüche aushalten wie die elaborierteren Strategien. Da sie aber kurz und übersichtlich sein sollen, verbleiben sie oft im Allgemeinen, dem niemand widersprechen kann – und liefern dann genau das nicht, was man sich als oberste Legitimation eigentlich erhofft: Kriterien für strategische Entscheidungen.

Ein strategisch orientiertes Hochschulmanagement bleibt also eine Aufgabe, in der immer wieder der Sinn der Gesamtanstrengung vermittelt werden muss, und das geschieht letztlich durch das, was man in Unternehmen Führung nennt und es geschieht eben durch Personen, die diese Begründungen und diese Sinnvermittlung immer wieder leisten müssen. Eine Strategie ist sozusagen wenig ohne den Strategen. Doch geeignete Instrumente und kluge Prozesse können unterstützen und entlasten. Je weniger es bisher diese Instrumente gab oder je weniger sie erprobt waren, desto mehr waren große Führungspersönlichkeiten im deutschen Hochschulmanagement erforderlich – und große Reformerfolge konnten nur dort beobachtet werden, wo es sie gab. Doch das Feld hat sich geändert, das Hochschulmanagement ist in der instrumentellen Dimension professioneller geworden. Aber es lässt sich auch dann nicht von der Dimension der Führung abkoppeln. Das sehen immer Funktionsträger in Hochschulen, die sich dieser Herausforderung stellen.

Christian Berthold

1997_02 Christian Berthold Uni Muenster
Universität Münster – Projekt Strukturentwicklungsprojekt Philosophische Fakultät/CHE (StEP)

1 Detlef Müller-Böling, Erhard Krasny: Strategische Planung an deutschen Hochschulen – theoretisches Konstrukt und erste Ansätze einer Methodologie, in: Müller-Böling, Lothar Zechlin u.a. (Hg.): Strategieentwicklung an Hochschulen, Gütersloh 1998, S. 13 – 48.

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