Prof. Dr.-Ing. habil. Dagmar Schipanski
Präsidentin des Thüringer Landtags
Seit vielen Jahren kenne und schätze ich Professor Detlef Müller-Böling, den umtriebigen Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung in Gütersloh. Uns verbindet die Leidenschaft für den Mikrokosmos Universität, das Zentrum des deutschen Wissenschaftssystems und einzigen Ort, wo Interdisziplinarität voll praktiziert werden kann. Auch die Sorge um die Zukunft der Universität verbindet uns. Wie sollte sie strukturiert und organisiert sein, damit sie den Anforderungen unserer Zeit gerecht werden kann? Auf diese offene Frage eine fundierte und tragfähige Antwort zu geben sah Prof. Müller-Böling als wesentliche Aufgabe des CHE und auch als persönliche Herausforderung.
Die Arbeit von Prof. Müller-Böling und des CHE habe ich auf vielen Symposien, Konferenzen und Tagungsreisen schätzen gelernt. Eine gemeinsame Reise nach Kalifornien ist mir dabei in besonders guter Erinnerung geblieben. An der University of California trafen wir mit Studenten und Professoren zusammen. Im Gepäck hatten wir viele Fragen, die letztlich darauf abzielten, die Stärken des US-amerikanischen Hochschulsystems zu ergründen und deren Übertragung auf das deutsche Modell zu überprüfen. Besonders augenfällig war der Reichtum der Universität. Daher beschäftigte uns natürlich die Frage nach dessen Entstehung, nach der Höhe der Studiengebühren und der Organisation des Fundraisings.
Die Hinwendung zum Studierenden faszinierte uns überall. An der Stanford University zum Beispiel erfolgt die Immatrikulation per Handschlag des Präsidenten, damals im Amt übrigens ein renommierter deutscher Wissenschaftler, Prof. Gerhard Casper. Wir interessierten uns für die innere Organisation der Hochschule und informierten uns über die Rechte und Pflichten von Professoren und Studenten, von Fakultäten und Instituten. Insgesamt bewegte uns ein buntes Kaleidoskop an Fragen und Antworten, an Zweifeln und Vorstellungen.
Manche der Schlussfolgerungen, die Prof. Müller-Böling aus dem Vergleich der beiden Systeme gezogen hat, teile ich, andere nicht. Nach wie vor halte ich das deutsche Hochschulmodell im Grunde für vorbildhaft in seiner breit gefächerten Art, seinem hohen Bildungsangebot, seiner „universitas“. Stanford ist für das Hochschulsystem der Vereinigten Staaten von Amerika keine typische Universität. Selbstverständlich ist Stanford eine hervorragende Universität, aber es gibt im amerikanischen System auch viele Schattenseiten, die in Deutschland nicht so ausgeprägt sind. Den Schlussfolgerungen zum Präsidialsystem kann ich nur die Erfahrungen aus der DDR entgegen halten. Auch damals wurden die Präsidenten „von außen“ benannt, das heißt von der SED. Sie waren zeitlich unbegrenzt tätig. Das tat dem Gesamtsystem Hochschule nicht gut. Die Eigendynamik wurde vernachlässigt. Es kam zu von außen verordneten Fehlentwicklungen. Für mich ist seither klar: Ein von außen benannter, ohne eigene „innere“ Bindungen versehener Präsident birgt die Gefahr von Fehlentwicklungen in sich. Selbstverständlich braucht der Leiter einer Hochschule zusätzliche Qualifikationen, aber die Grundkompetenz als Wissenschaftler ist für mich eine notwendige Voraussetzung. Warten wir ab, wie die jetzigen Empfehlungen in zehn Jahren gesehen werden.
Der beeindruckendste Teil der gemeinsamen Reise nach Kalifornien war für mich persönlich der Besuch im Halbleiterlabor der Stanford University hoch oben auf dem Berg mit Blick auf die Golden Gate Bridge. Hier konnten Studenten Schaltkreise entwerfen, Technologien festlegen, Masken selbst fertigen, technologische Schritte erlernen unter gründlicher Anleitung und bei phantastischer technischer Ausstattung in der CMOS-Technologie. In Deutschland gab es kein vergleichbares Konzept, das Theorie und Praxis, die Einheit von Forschung und Lehre ebenso verbunden hätte. Da die Kosten für dessen Etablierung so enorm waren, gelang es mir nicht, an der Technischen Universität Ilmenau ein gleiches Labor aufzubauen. Mein Traum blieb es aber doch.
Ich bin Detlef Müller-Böling dankbar, dass wir an seiner Seite auch träumen konnten, ohne immer an die Ketten der Vernunft gebunden zu sein. Wir danken Prof. Müller-Böling für seine Visionen, seine Vitalität, seinen Humor und seine Ausdauer. Insgesamt waren die Gespräche, Diskussionen, Vorträge und Auseinandersetzungen mit Prof. Müller-Böling außerordentlich anregend, tiefgründig, von großer Kompetenz getragen. Hier paarte sich Enthusiasmus mit solider Fachkenntnis. Das ist sein großes Geheimnis, welches das CHE zu solch beachtlichen Erfolgen geführt hat.
Dagmar Schipanski