Ein Tag im Leben des S.H., Hochschulreformer

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Sigurd HöllingerSigurd Hoellinger
Sektionschef a.D., Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Österreich

Fest und sicher setzt die Dash 90 der Tyrolean Airways auf der Landebahn des Wiener Flughafens auf. Es ist kurz nach acht Uhr früh. Ich komme aus Innsbruck, wo ich am Vorabend über die Entwicklung der Universitätsautonomie gesprochen habe. Zweihundert TeilnehmerInnen, keine mich unterstützende Wortmeldung, feindliche Stimmung.

Die gewohnten Freiheiten der Universität werden durch die geplante Autonomie mit starker Führung leidenschaftlich als bedroht beschrieben. Der Universitätsrat mache die Universität fremdbestimmt. Gegen Schluss ruft ein Mathematik-Dozent durch den Saal: „Vielleicht befreit uns morgen die ‚Tyrolean‘ von der Reform“. Vereinzelter zustimmender Applaus, nicht ein einziger Beitrag der Empörung. Der Mathematiker wusste über die geringe Wahrscheinlichkeit der Erfüllung seines Wunsches Bescheid und empfand ihn daher nicht so schlimm.

Die erste Besprechung im Ministerium: Die OECD-PrüferInnen der österreichischen Wirtschaftspolitik wollten die Pläne vom Übergang des hoheitlichen zu einem partnerschaftlichen Verhältnis des Staates zu seinen Universitäten, die vorgeschlagenen Leistungsvereinbarungen und die Einführung des Angestelltenrechts anstelle des Beamtendienstrechts studieren. Es gibt Zustimmung zu den beabsichtigten Lösungen und Ermunterung, die Veränderungsprozesse unnachgiebig durchzustehen.

Es folgt der jour fixe mit den Vorsitzenden der Österreichischen HochschülerInnenschaft. Das Gesprächsklima ist freundlich, nichts von der öffentlichen Polemik der Tage vorher. Zerstörende Absicht wird nicht mir, aber manchen Politikern, unterstellt. Der Staat dürfe sich nicht zurückziehen und das Schicksal der Studierenden den reaktionären Kräften der Universität ausliefern.

Während des Gesprächs mit den StudierendenpolitikerInnen ein Anruf der Ministerin: Am Rande des EU-MinisterInnenrats erfuhr sie viel Zuspruch zu den Reformplänen, das Reformkonzept scheint einigen sehr anspruchsvoll. „Müssen wir wirklich die Reform so radikal anlegen?“ Ja, ich bin überzeugt, dass halbe Autonomie mit gemischter Zuständigkeit den Universitäten nichts bringt.

Ich gehe in den großen Sitzungssaal des Ministeriums, der nach mehr als einhundertfünfzig Jahren staatlicher Nutzung wie bei den früheren aristokratischen Eigentümern des Palais‘ noch immer „Audienzsaal“ heißt. Rektor, Dekane, Universitätsfachleute der Universität Wien führen Beschwerde über die dilettantischen Pläne des Ministeriums. Die Universität Wien werde wie in den vergangenen sechshundert Jahren auch diese Attacke überstehen. Ein Dekan, ein Althistoriker, zitiert eine ungeschickte Äußerung, die mir bei einer internen Diskussion mit den GeisteswissenschafterInnen passiert war – kein Stein werde auf dem anderen bleiben -, und schlägt mit einem Stück aus dem Fundus seines Faches zurück: „Und das größte Stück wird Sie erschlagen“. Eine Diskussion kommt nicht zustande. Die Delegation verlässt schimpfend den Saal. Kurz darauf erhalte ich eine Presseaussendung des Rektorats mit der Ankündigung, mir das Doktorat abzuerkennen. Was schon aus gesetzlichen Gründen gar nicht möglich war.

Eine Aussprache mit MitarbeiterInnen folgt. Ich trage Pros and Cons zu einigen Elementen der Reform vor und lade ein, diese zu diskutieren und Alternativen aufzuzeigen. Die Beteiligung bleibt schwach, Kritik und Vorschläge bleiben aus. Die meisten MitarbeiterInnen sind an das Bearbeiten von Problemen in Akten – einer nach dem anderen – gewöhnt; das Diskutieren von Lösungen mit einander mögen sie nicht. Im Weggehen sagt der leitende Jurist mit einem Stoß von Akten am Arm, in denen er während der Besprechung geblättert hatte: „So, jetzt gehen wir arbeiten“.

Ein befreundeter und der Autonomiepolitik zum Wohle der Universitäten nicht abgeneigter Abgeordneter zum Nationalrat gibt mir am Telefon zu bedenken: Die Verminderung der Regelungsdichte auf der staatlichen Seite führe dazu, dass die Abgeordneten weniger zu tun hätten und weniger wichtig werden würden. Vielleicht bedeute dies, wenn auch ungewollt, Ent-Demokratisierung. Alles noch einmal genau überlegen, in Schritten vorgehen, die nächste Gesetzgebungsperiode solle auch was zu tun haben.

Anschließend fahre ich zur Rektorenkonferenz. Eine Aussprache zum Reformkonzept des Ministeriums mit dem Präsidium ist angesagt. Etliche Elemente des Vorhabens entsprechen den bestehenden Forderungen der Rektoren. Aber die Autonomie muss vollständig sein. Die geplante Leistungsvereinbarung der Universitäten mit dem Ministerium mache die Universität zu einer „Ministerial-Universität“. Es gehört sich für Universitätsrepräsentanten, nicht auf der Seite des Ministeriums zu stehen. Es war für die Teilnehmer am Gespräch klar, dass Autonomie zu fordern einfacher ist, als sie zu haben. Und: Das Ministerium hatte überdies nur förmlich die Vormachtstellung, real ohnehin nicht. Dem universitären Establishment wurden seine Wünsche weitgehend erfüllt. Die Verantwortung blieb beim Ministerium. Effektivität und Effizienz waren aber unter ihrem Optimum. Die Debatte ließ erahnen, dass die Zielsetzungen und das Konzept zur Veränderung der Universität so unterschiedlich nicht sind. Aber Unterstützung zu erwarten ist unrealistisch.

Dann treffe ich, wieder im Ministerium am Minoritenplatz, eine Gruppe von VertreterInnen des Mittelbaus, die ich seit Jahren gut kenne. Sie fordern von mir, für einen Ausbau der Mitbestimmung einzutreten, damit Personalautonomie, die wichtiger als die Organisationsautonomie sei, gesichert werden könne. Es geht vor allem um die gesicherte geschlossene Beamtenkarriere für alle, die die Leistungsfähigkeit der Universität gewährleistete. Mein Unverständnis kann ich nicht mehr taktisch verkleiden. Der Wortführer erklärt mich zum politischen Feind und entzieht mir das Du-Wort.

Ein bekannter Physiker, der eben wieder einen viel beachteten Beitrag in „nature“ veröffentlicht hatte, kommentiert auf meine Bitte hin am Telefon den Reformplan. Das meiste sei ihm egal oder überflüssig. Das Allerwichtigste, worauf es ankommt, ist das Hinführen zur Forschung und die kompromisslose, international ausgerichtete Herausforderung und Förderung der Jungen.

Am Abend eine große Veranstaltung der Industriellenvereinigung, zahlreiche RepräsentantInnen des Wissenschaftsbetriebs und Industrielle. Ich bin inhaltlich und emotional nicht einsam. Professor Müller-Böling vom CHE spricht mit sicherem Sachverstand über die Universitäten in Deutschland und Europa – und ohne das österreichische Reformprogramm ausdrücklich zu bewerten – so, dass sich viele Zuhörer vorstellen können: Konzept und Weg der österreichischen Entwicklung sind richtig.

Die Äußerungen der KritikerInnen und GegnerInnen, die inhaltlichen wie die aggressiven, empfinde ich als Anstöße, wenn auch als unangenehme, zum Nachdenken über das Konzept und über die erforderliche Akzeptanz. Neue Diskussionen müssen folgen. Gebraucht werden Geduld und Ungeduld und das Festhalten am Ziel.

Ich habe gut geschlafen.
Alles wahr, nur ein wenig komprimiert.

Sigurd Höllinger

Im Jahr 2004 erhielt Sigurd Höllinger einen CHEmpion von Detlef Müller-Böling in der Kategorie „Ministerialbeamter“

2004_04_29 Hoellinger_CHEmpion

Mitschnitt aus dem CHE-Symposium „Weiter entfesseln – den Umbruch gestalten“ am 29. April 2004 aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des CHE

 

 

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