Hans im Glück der Hochschulreform und ein Gutachten des Wissenschaftsrats aus dem Jahre 2018 – Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans N. Weiler
Rektor Emeritus Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O.
Prof. of Education and Political Science, Stanford University
Zunächst ein Wort zum Untertitel, der – Literaturkundige wissen Bescheid – der 1827 entstandenen Komödie gleichen Titels von Christian Dietrich Grabbe entlehnt ist. Schon der Titel – „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ – wäre als Motto für eine Glosse zum jüngeren hochschulpolitischen Diskurs in Deutschland nicht ungeeignet. Grabbes Stück beginnt damit, dass der Teufel auf die Erde kommt, weil in der Hölle geputzt wird, dann aber trotz des warmen Sommerwetters erfriert. Wie er dann, vom Kaminfeuer des Barons von Haldungen wieder belebt, die heile Welt des deutschen Biedermeier nach Strich und Faden auf den Kopf stellt – das macht die hochschulpolitische Relevanz der Parabel nachgerade unwiderstehlich. Im Verlauf der Handlung fallen nicht nur der Adel und das Kleinbürgertum, sondern auch die Vertreter einer verstaubten Wissenschaft der hoffnungslosen Lächerlichkeit anheim, und der Teufel resümiert sein abschätziges Urteil von einer Welt, die er in Begleitung seiner Großmutter und des Kaisers Nero gerne wieder verlässt: „Die Welt ist weiter nichts als ein mittelmäßiges Lustspiel, welches ein grünschnäbeliger Engel, der, wenn ich nicht irre, noch in der Prima sitzt, während seiner Schulferien zusammengeschmiert hat.“ Die weitere Verwendung dieser Vorlage für eine künftige Paraphrase zur zeitgenössischen deutschen Hochschulpolitik behalte ich mir im übrigen ausdrücklich vor – copyright reserved.
Denn in dieser „Kunstform“ verfremdeter Reflektionen über Hochschulen und ihre Reform (Müller-Böling spricht einmal von „Camouflage“) hat sich über die Jahre ein edler Wettstreit zwischen Detlef Müller-Böling und Hans Weiler entwickelt, den ich munter fortzusetzen gedenke. Es gab bei mir schon frühe Spuren dieser Neigung – wie etwa, als ich auf seine Frage nach einer möglichst kurz gefassten Beschreibung meiner wissenschaftlichen Interessen antwortete: „Zu verstehen, wie Hochschulen sich ändern – und warum sie’s nicht tun“, oder in der Zuhilfenahme exotischer Lokalitäten (das hochschulpolitische Paradies Atlantis II oder die Hogwarts School für angehende Zauberlehrlinge à la Harry Potter) als Schauplätze für ironisierende Debatten zur deutschen Hochschulpolitik. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte dieser Wettstreit jedoch mit zwei Reden im Jahre 2004 – einem Jahr, zu dessen herausragenden Merkmalen gehörte, dass das CHE zehn und Hans Weiler siebzig Jahre alt wurden. Diese beiden Geburtstage waren dann auch die Anlässe, aus denen sich Hans Weiler zu einem „Gutachten des Wissenschaftsrates aus dem Jahre 2018“ und Detlef Müller-Böling zur äußerst originellen Neufassung eines alten Märchens über „Hans im Glück der Hochschulreform“ veranlasst sahen.
In beiden Beiträgen ist, wenn ich so vermessen sein darf, Wichtiges zur Hochschulreform in Deutschland gesagt, aber eben auf etwas andere Weise als in den üblichen Diskursen. Die Palette der Anspielungen reicht von „dem vereinigten Widerstand aus Professoren, Politikern und Ministerialbeamten“, auf den „Hans im Glück der Hochschulreform“ stieß, als er auf dem Rektorstuhl begann, „mit der Zunge zu schnalzen und hopp-hopp zu rufen“ bis zu den neuen Hochschulstrukturen an der fiktiven Albert-Einstein-Universität des Landes Berlin-Brandenburg, über die der Wissenschaftsrat im Jahre 2018 des Lobes voll ist. Und die jedem in der Hochschulreform Engagierten allzu vertraute Erfahrung, dass „jeder Vorschlag … zuerst einmal von einer unheiligen Allianz aus Besitzstände wahrenden Professoren, vermeintlich klassenkämpferischen Studenten und übervorsichtigen Ministerialen als Ende des christlichen Abendlandes, im besten Fall als verfassungswidrig eingestuft wird“ widerfährt auch „Hans im Glück“ – was sich dann in der Müller-Böling’schen Fassung des Märchens so anhörte:
Hans im Glück schritt derweil mutig … voran und formulierte Weg weisende Empfehlungen, und als er sich an der Milch des Erfolges laben wollte, da gaben ihm die Hochschulen mit den Hinterfüßen einen solchen Schlag vor den Kopf, dass er zu Boden taumelte und eine Zeitlang sich gar nicht besinnen konnte, wo er war.
Am Ende des per Zeitraffer von der Zukunft in die Gegenwart transponierten Wissenschaftsratsgutachtens wird dann auch deutlich, weshalb das Gutachten ausgerechnet aus dem Jahre 2018 stammt: Der Wissenschaftsrat hat nämlich damit die willkommene Gelegenheit, sich nicht nur am Beispiel des Modellversuchs der Albert-Einstein-Universität mit neuen Hochschulstrukturen wie Bachelorkolleg, Professional Schools und Hochschulforschungsverbünden zu beschäftigen, sondern auch jemandem zu gratulieren, der im Jahre 2018 seinen 70. Geburtstag feiert. Und so beginnt das fiktive Gutachten von 2018 mit der keineswegs fiktiv gemeinten Widmung:
„Dem nach wie vor unermüdlich tätigen Pionier einer modernen und entfesselten deutschen Hochschule, Detlef Müller-Böling zum 70. Geburtstag: 1948 – 2018“.
Das ist in Echtzeit nun noch eine kleine Weile hin, aber diejenigen, die Detlef Müller-Böling kennen, werden wissen, dass er sich auch in den kommenden Jahren nicht auf das Erzählen von Märchen beschränken wird. Er wird sich gelegentlich aber auch in seinen eigenen Märchen wieder finden – so wie am Ende des Märchens von „Hans im Glück in der Hochschulreform“:
„So glücklich wie ich“ rief Hans im Glück schließlich aus, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Bar aller Ämter und frei von aller Last sprang er fort, bis er daheim bei seiner Frau war.
Hans N. Weiler
Im Jahr 2004 erhielt Professor Hans N. Weiler einen CHEmpion von Detlef Müller-Böling
Mitschnitt aus dem CHE-Symposium „Weiter entfesseln – den Umbruch gestalten“ im April 2004 aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des CHE