Marion Landwehr
Centrum für Hochschulentwicklung
Aufmerksam gemacht durch Missstände und finanzielle Schwierigkeiten bei der Privatuniversität Witten/Herdecke, dessen Direktorium Herr Reinhard Mohn damals leitete, reifte in der Bertelsmann Stiftung bereits im Jahr 1993, und hier insbesondere bei dem damaligen Vorstandsvorsitzenden, Herrn Reinhard Mohn, der Gedanke, den Hochschulen in Deutschland „auf die Sprünge“ zu helfen. Herr Mohn hatte die Idee, ein gemeinnütziges Institut zur Hochschulentwicklung zu gründen, das die notwendige Hochschulreform vorantrieb und sich dazu auch insbesondere eines Universitätsvergleichs bedienen sollte. Sogar eine bedeutende Person, die dieses Institut leiten könnte, wurde ganz schnell gefunden: Herr Prof. Dr. Detlef Müller-Böling, der zu der Zeit Rektor an der Universität Dortmund war und sich nicht nur dort bereits einen Namen als Reformer gemacht hatte.
Es wurden Gespräche geführt und Meinungen dazu eingeholt vom Wissenschaftsrat (Prof. Neuweiler, Dr. Benz), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Dr. Tyll Necker), dem „Arbeitsstab Aufgabenkritik der Landesregierung“ in Düsseldorf (Min.-Dir. Kalenberg), angesiedelt beim Finanzministerium, und natürlich nicht zuletzt von der Hochschul-Rektoren-Konferenz, damals vertreten durch den Präsidenten Herrn Prof. Dr. Erichsen. Alle angesprochenen Personen und Institutionen befürworteten diesen Plan, und Herr Mohn trieb die Gründung dieser Dienstleistungseinrichtung schnellstens voran.
Noch im November 1993 wurde ein Satzungsentwurf in enger Zusammenarbeit mit der HRK entwickelt. Die Arbeit ging gut voran und schon Anfang des Jahres 1994 wurde das
CHE Gemeinnütziges Centrum für Hochschulentwicklung GmbH
in Gütersloh von der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung zur Förderung der Hochschulen-Rektoren-Konferenz gegründet. Neben seiner Arbeit als Rektor plante Herr Professor Müller-Böling die Arbeit dieses neuen Instituts, dessen Leitung er gleich nach Ende seiner Amtszeit als Rektor in Dortmund offiziell am 1. Mai 1994 übernahm. Um jedoch eine so große Aufgabe zu bewältigen, brauchte er schon noch personelle Unterstützung, die er sich zum einen durch einen Mann holte, der die Universität Dortmund als „Vize-Kanzler“ von Anfang an mit aufgebaut hatte und genau wusste, wie die Abläufe funktionierten: Herrn Reg.-Dir. Klaus Neuvians. Weitere Unterstützung erhielt er durch einen wissenschaftlichen Angestellten des Fachbereichs Betriebswirtschaft: Herrn Dipl.-Kfm. Burkhard Kölsch, dem heutigen Leiter des Controllings in der Bertelsmann Stiftung. Meinem eigenen Interesse an der Weiterentwicklung der Hochschulen trug Herr Mohn Rechnung, indem er meinem Wechsel in das CHE- Geschäftsleitungssekretariat zustimmte. So waren wir dann zu Viert und starteten am 2. Mai 1994 in vier Büros, die das CHE in Pavillon II der Bertelsmann Stiftung angemietet hatte.
Vorrangiges Ziel des CHE sollte sein, die Hochschulen trotz Überlastung und Unterfinanzierung leistungsfähig zu erhalten und evolutionsfähig zu machen. Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Hochschulen sollten erhöht werden unter gleichzeitiger Beibehaltung des Grundsatzes der Freiheit von Forschung und Lehre.
Schon vor der offiziellen Arbeitsaufnahme wurde durch gezielte Pressearbeit auf das neue Institut hingewiesen und das Erstaunliche war, dass dies nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt wurde. So schrieb aufgrund eines ZEIT-Artikels im März 1994 der Assistant Director des Planning and Development Office an der University of the South Pacific auf den Fidschi-Inseln an Herrn Mohn, dass er mit großem Interesse von der Gründung gelesen habe und dazu gratuliere. Er beschäftige sich mit eben diesen Fragen, kenne sich sehr gut mit den Entwicklungen in Australien und Neuseeland aus und würde sich über einen Kontakt mit dem CHE freuen. So war schon der erste Schritt getan, um ausländische Erfahrungen in die Arbeit des CHE einbeziehen zu können.
Aber wir mussten uns ja auch in Deutschland bekannt machen und schauen, wo man wie mit der Arbeit ansetzen konnte. Dazu wurden zunächst sämtliche Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland angeschrieben, um zu ergründen, wo es bereits Reformprojekte oder -pläne gab und in welche Richtung diese gingen. Von den 380 Hochschulen hat mehr als ein Drittel geantwortet und war an einer eventuellen Zusammenarbeit interessiert. Aus diesen Rückmeldungen sowie aus einer ersten Veranstaltung des CHE im Haus Bommerholz (Lehr- u. Weiterbildungsstätte der Uni Dortmund) in Witten mit rund 15 ausgesuchten Hochschulangehörigen wurden die Aufgaben des CHE, mögliche Pilotprojekte mit den Hochschulen sowie persönliche Beiträge der Teilnehmer zu den Aufgaben des CHE herausgefiltert und im August 1994 als Ziele und Arbeitsprogramm definiert.
Im September 1994 fand dann unter Leitung von Herrn Mohn auch bereits die konstituierende Sitzung des CHE-Beirats statt, dessen Vorsitz der damalige Staatssekretär a.D. des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, Herr Dr. Gerhard Konow bis zu seinem Tod innehatte. In dieser Sitzung verlieh Herr Mohn seiner Überzeugung Ausdruck, dass erfolgreiche Führungsprinzipien aus der Wirtschaft auf den Hochschulbereich übertragen werden können. Herr Professor Erichsen verband mit dem CHE die Hoffnung, dass es gelingt, im Bereich der Hochschulen zu einer „Verantwortungsgemeinschaft“ zu kommen. Der Grundüberzeugung des damaligen Staatsministers im Ministerium für Wissenschaft und Weiterbildung in Rheinland-Pfalz, Herrn Prof. Dr. Jürgen Zöllner (heute Senator in Berlin und noch immer im Beirat des CHE aktiv), wonach Verantwortung der Preis für die Freiheit ist, fand bei allen übrigen Mitgliedern des Beirats deutlichen Zuspruch.
Meine eigenen Kenntnisse der Hochschulszene waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr ausgeprägt. So erhielt ich durch unsere „Drei von der Hochschule“ täglich einen persönlichen Nachhilfe-Unterricht, nachdem ich mein Mittagessen in der Kantine eingenommen und mit einer Tragetasche voller Salatportionen bewaffnet in das Büro zurückgekehrt war. Dort saßen wir um den runden Besprechungstisch von Herrn Professor Müller-Böling, die „Drei von der Hochschule“ genossen ihren Salat und versorgten mich mit Informationen aus der Hochschulwelt. Dieser Jour fixe wurde bis heute im Zwei-Wochen-Abstand zum allgemeinen Informationsaustausch der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im CHE beibehalten. Sogar das Wort „Salat“ hat die 14 Jahre überdauert.
Bereits im September 1994 konnten wir dann schon gezielt weitere Referenten für die Arbeit des CHE einstellen, und am 25./26. Januar 1995 fand die große Eröffnungsveranstaltung des CHE in der Stadthalle Gütersloh statt. Die Tagung richtete sich an Rektoren/Präsidenten und Kanzler, Dekane sowie interessierte Mitarbeiter und Fachwissenschaftler der Hochschulen, an Bundes- wie Landespolitiker, Mitarbeiter von Ministerien und Fachjournalisten. Bekannte Redner aus dem In- und Ausland kamen, um über ihre Erfahrungen zu berichten und mit uns über ihre Modelle zu diskutieren.
Nach dieser Veranstaltung ging die Arbeit richtig los, und die noch relativ dünne Personaldecke konnte und musste durch eine entsprechende EDV-Unterstützung ein wenig kompensiert werden. In der Bertelsmann Stiftung war bereits ein Mail-System eingeführt worden, wurde jedoch durch die Mitarbeiter noch sehr wenig genutzt, ganz im Gegensatz zu den Hochschulen. So wurde das CHE in der Stiftung gewissermaßen auch Vorreiter in diesem technischen Bereich. Die Mail wurde zum Haupt-Kommunikationsmittel im CHE – bis heute. Die einzige Schwierigkeit war damals, dass man die Mails noch nicht von außen abrufen konnte und somit die Arbeitsaufträge immer geballt eintrafen, wenn der Chef von seinen Reisen mal kurz zurückkehrte. Im Jahr 2006 wurde uns durch eine Praktikantin bescheinigt, dass die technische Ausstattung des CHE um Klassen besser sei als die eines der größten Unternehmensberater in Deutschland…!
Doch trotz aller Arbeit sollte der Sport als Ausgleich und das Hobby von Herrn Professor Müller-Böling nicht zu kurz kommen. Als Rektor der Universität Dortmund hatte er den sogenannten NRW Uni Cup mit ins Leben gerufen, einen Segel-Wettbewerb während der Essener Segel-Woche, bei dem er das Boot der Universität Dortmund steuerte. Ab 1999 hat auch das CHE ein Boot unter seiner Leitung in den Wettbewerb geschickt und im August 2000 hat das CHE den 2. Platz belegt. Das sprach eindeutig für den Steuermann, nicht nur als Chef des CHE, sondern auch als Chef im gemeinsamen Boot! Doch nicht nur auf dem Wasser, sondern auch an Land wurde der Wind in den Projekten zunehmend rauer. Nicht alle in der Hochschulszene waren immer mit den Änderungen einverstanden, die das CHE so nach und nach durchsetzen konnte. Doch Herr Müller-Böling behielt immer und zu jeder Zeit die Ruhe. Ihm war nichts anzumerken, auch wenn zuweilen die Sitzungen offensichtlich doch recht ermüdend waren für unseren Chef, der sich dann die Zeit mit Kunst und Träumen vom Segeln vertrieb:
Mit unermüdlichem Einsatz aller CHE-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter ging die Arbeit unter seiner Leitung voran. Dabei vergaß er auch nicht, gleichzeitig an die Zukunft zu denken und vorzusorgen, wenn alle Ziele eines Tages umgesetzt sein sollten. Parallel zur Arbeit des Think Tanks CHE wurde das Beratungsunternehmen HEConsult gegründet, heute CHE Consult. Dieses Unternehmen sollte in der Zukunft die Reformen in den Hochschulen beratend unterstützen und das Know How aus den entwickelten und bewährten Modellen des gemeinnützigen CHE in die Breite tragen.
Herr Müller-Böling hatte immer die besondere Gabe, seine Ziele so durchzusetzen, dass niemand sein Gesicht verliert und trotzdem alles zur Fast-Zufriedenheit umgesetzt wurde. Wohl diese Tatsache hat ihm auch den Ruf des heimlichen Bildungsministers eingetragen.
Für uns als Mitarbeiter, und insbesondere für mich als längste Mitarbeiterin, ist es schade, dass wir diesen guten Steuermann verlieren. Doch die Zukunft ist bereitet.
Ich danke Herrn Professor Müller-Böling für wunderbare 14 Jahre vertrauensvoller Zusammenarbeit und wünsche ihm von Herzen alles Gute für seine weiteren Aktivitäten, beruflich wie privat und immer die passende Windstärke!
Marion Landwehr-Konrad