Dr. Rainer Ambrosy und Dr. Steffen Heise
Kanzler der Universität Duisburg-Essen
Als die Fachhochschule Bochum anno 1995 die erste unbefristete Controllerstelle des höheren Dienstes in der Verwaltung einer Hochschule in NRW verankerte und die Einführung der Kostenrechnung zum ersten Aufgabenbereich machte, rief das nicht gerade Begeisterung hervor: Die Befürchtungen reichten von der Kontrolle einzelner Lehrinhalte im akademischen Bereich bis zur Anwesenheitskontrolle in der Verwaltung. Ein flotter Spruch aus dieser Zeit: „Was ist der Unterschied zwischen einem Controller und einem Terroristen? Der Terrorist hat Sympathisanten!“
Tja, aber wen hatte der Controller? Da brauchte man Verbündete in der großen weiten Welt. Glücklicherweise war im Jahr 1994 das gemeinnützige Centrum für Hochschulentwicklung GmbH gegründet worden, das sich als Reformwerkstatt für das deutsche Hochschulwesen verstand und an neuen Ideen und Konzepten für das Management, die Organisation und die Steuerung von Hochschulen arbeitete. Es wurde von dessen „stets gut gelaunten“ Chef Müller-Böling (Sabine Etzold in „DIE ZEIT“) geleitet. Wir fanden die Unterstützung im revolutionären CHE und kamen dort in den Genuss eines der ersten Projekte. Ein Projektbericht ist nicht erhalten (ein gemeinsamer Aufsatz schon: Ambrosy, Heise, Kirchhoff-Kestel, Müller-Böling: „Integrierte Kostenrechnung: Unterwegs in Richtung modernes Hochschulmanagement. Zeitschrift Wissensmanagement 3. Jahrgang, 4/1997, S. 204-213), die legendären „Arbeitspapiere“ des CHE waren leider noch nicht etabliert, aber unsere gemeinsamen Erfolge konnten sich sehen lassen: Die HIS-GmbH aus Hannover sah schließlich ein, dass man Hochschulkostenrechnung nicht mit einem „Geflecht von Excel-Tabellen“ bewerkstelligen kann, auch wenn dieses aus „Ausstattungsvergleichen“ schon parat liegt.
Wir konnten das damals noch altmodisch „Wissenschaftsministerium“ genannte Haus in Düsseldorf davon überzeugen, dass es bessere Software als die für das Finanzmanagement von HIS an Hochschulen gibt. So kam’s, dass an der FH Bochum eines der ersten, vielleicht das erste integrierte Finanzmanagementsystem an deutschen Hochschulen lief, das sowohl Kameralistik, als auch Doppik als auch die Kostenrechnung (incl. Kostenträgerrechnung) unterstützte. Hochschulcontrolling hatte ein praktisches Fundament gefunden.
In den folgenden Jahren wurden der Controlling- und Kostenrechnungsauftrag im Hochschulgesetz des Landes NRW verankert (§5 Abs. 2 HG) und allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Kern des Hochschulcontrolling nicht in der Kontrolle, sondern in der auf „harte“ Fakten basierten aber gleichwohl auf Verständigung angelegten umfassenden Unterstützung des Hochschulmanagements bei der zukunftsorientierten Hochschulentwicklung besteht.
Anno 2008: Das Controlling hat sich mittlerweile an allen Hochschulen fest etablieren können: Zu sehr haben sich die Rahmenbedingungen in Richtung Autonomie, Wettbewerb, Globalhaushalt, leistungsorientierte (kennzahlen-basierte) Mittelverteilung entwickelt, als dass nicht das Controlling durch die Einführung der „Neuen Steuerungsinstrumente“ einen festen Platz in jeder Hochschulverwaltung gefunden hätte – häufig etwas schamhaft in den Dezernaten für Hochschulplanung versteckt. Ein wenig Steuerung braucht die im MüBö’schen Sinne „entfesselte“ – in NRW sogar mit einem „Hochschulfreiheitsgesetz“ befreite – Hochschule ja schon.
Der Aufgabenkatalog ist mittlerweile arbeitsteilig eingepasst in die „Neue Steuerung“:
Das Rektorat der Universität Duisburg-Essen, an der der ehemalige FH-Kanzler jetzt fungiert, versteht Controlling als ein System der Führungsassistenz, das seinen Schwerpunkt in der Informationsversorgung, -bearbeitung und -auswertung sowie im Berichtswesen hat. Durch Controlling sollen die Führungsfunktionen ‚Planung‘, ‚Organisation‘, ‚Personal‘ und ‚Kontrolle‘ funktional miteinander verknüpft werden. Das Leistungsangebot der Stabsstelle Controlling umfasst zurzeit schwerpunktmäßig folgende Produkte:
Inhaltliche Weiterentwicklung des Online-Informations- und Kennzahlensystems;
Entwicklung und Bereitstellung von Controlling-Berichten für die zweijährigen Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den zentralen Einrichtungen und mit den Fachbereichen;
Bereitstellung und Weiterentwicklung eines Online-Kennzahlensets für Zwecke des Fachbereichscontrollings für die Dekanate;
Führungsinformationssystem für das Rektorat, bestehend aus
o Finanzbericht,
o Kennzahlenbericht;
vielfältige Statistikberichte (Jahresbericht, Prognosen, Simulationen, sonstige Daten und Berichte);
Aufbereitung und Bewertung von Rankings und Benchmarkingergebnissen
Studienverlaufsanalyse;
Analyse der „LOM“ (leistungsorientierte Mittelverteilung) nach Lehreinheiten und Fachbereichen mit Handlungsempfehlungen;
Abstimmung der „Steuerungsinstrumente“ und des Berichtswesens (interne – externe Ziel- und Leistungsvereinbarungen, Budgetierungssystem und Mittelverteilung, Finanzplanung, Evaluation);
Dieses „Produktangebot“ wird aktuell im Hinblick auf neue Leitungsstrukturen (Hochschulrat) ergänzt.
Die Betreuung der Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit dem Land NRW und deren Umsetzung in (internen) Vereinbarungen mit den Organisationseinheiten der Universität erfolgt in Abstimmung mit den Hochschulplanern. Die Neuausrichtung der Kosten- und Leistungsrechnung auf Erfordernisse der 7. EU-Rahmenrichtlinie, auf die Einführung interner Verrechnungspreise (da ist sie wieder, unsere alte Hochschulkostenrechnung, mit dem fortwährenden Wunsch der Trennung der Kosten von Forschung und Lehre … Humboldt lässt grüßen!) erfolgt ebenso in Abstimmung mit „den Haushältern“ wie die anstehende Einführung des kaufmännischen Rechnungswesens. Das Ergebnis: Irritation bestehender bewährter Fachlichkeiten auf dem Weg in neue Strukturen.
Die Aufgaben des Controllings sind erheblich komplexer geworden:
Unterstützung der Entwicklung des Hochschulprofils und der Fächerprofile auf der Basis der Auswertung von Kennzahlen und Rankings;
Vorschläge für die Veränderung der Personalstruktur der Hochschule in Richtung auf Schwerpunkte in Lehre und Forschung in den Lehreinheiten;
Auswertungen der Wirkung der Mittelverteilung in der Hochschule;
Auswertungen von Evaluationen in Richtung von zukunftsfähigen Standards;
Entwicklung von Kennzahlensystemen und Budgetierungssystemen für die „Dienstleister“ in der Hochschule: Verwaltung, Rechenzentrum, Werkstätten …;
Vielleicht sogar: Unterstützung der Erstellung und Auswertung von baulichen Standortentwicklungskonzepten in Richtung auf Profil, Fächerstrukturen und Zukunftskonzepte der Hochschule.
„Zukunftsaufgabe Integrationsleistung“ über den gesamten Ressourceneinsatz also für das Controlling in Richtung wettbewerblicher Profilbildung. Und die Perspektive?
Anno 2015: Angesichts des Ansturms von Studierwilligen auf die Hochschulen ab 2010 – den das CHE bereits in seinem Arbeitpapier Nr. 100 vorhergesehen hatte – wurde die Zuständigkeit der Länder für die Hochschulen aufgegeben, weil den Wählern nicht mehr zu vermitteln war, dass 16 Wissenschaftsministerien weniger an der Zukunftsfähigkeit Deutschlands arbeiten, und sich in föderalen Gremien entlang der Parteiraison gegenseitig das Leben schwer machen.
Im Zuge dieser Revolution der deutschen Hochschullandschaft wurde von erfahrenen Ministeriellen und ihren Verbündeten in den Hochschulen parallel – quasi im Windschatten – die Finanzierung der Hochschulen umgestellt: Das Grundbudget leitet sich heute vor allem daraus ab, welche Studienplatzkontingente zwischen Hochschule und Staat vereinbart wurden. Der Hochschulkostenrechnung kommt jetzt eine Schlüsselfunktion im doppelten Sinne zu: Der Staat bestimmt auf der Basis einer externen Kostenrechnung die „Preise“, die er den Hochschulen dafür bezahlt, dass sie Studienplätze anbietet. Es handelt sich um Durchschnittspreise für die unterschiedlichen Fächer (Gestehungskosten).
Die Ergebnisse der internen Kostenrechnung gehen an Hochschulrat und Hochschulleitung. Die können es kaum erwarten, vierteljährlich zu erfahren, wie sich Kosten und Entgelte zueinander verhalten, welche Fächer nicht nur der Profilbildung sondern auch dem Cash Flow dienen und in welchen Bereichen es künftig Sinn macht, höhere Kontingente bei der staatlichen Seite rauszuholen. Das vormals abstrakte Schwadronieren über „akademisches“, „strategisches“ oder gar „symbolisches“ Controlling wurde nachhaltig geerdet: Seitdem im ganzen Land in regelmäßigen Abständen mit Peer Reviews die Fächer auf ihre Lehr- und Forschungsqualität hin evaluiert und die Ergebnisse veröffentlicht werden, ist klar, dass die staatliche Seite hohe Studienkontingente – also viel Geld – an hohe Leistungsfähigkeit knüpft. Die Leistungsportfolios für sämtliche Fächer müssen daher ständig auf dem Laufenden gehalten werden, damit die Hochschule weiß, wo sie im Bundesvergleich steht und entscheiden kann, wohin es künftig gehen soll.
Die moderne „entfesselte Hochschule“ hat also hinsichtlich Wettbewerb, Profilierung und Wirtschaftlichkeit endlich viel von dem zu bieten, was Müller-Böling bereits im Jahre 2000 mit seiner einschlägigen Veröffentlichung gefordert hatte. Insbesondere die Ableitung der Budgetvolumina auf rationaler, nachvollziehbarer Basis (S. 182) hat hierzu einen außerordentlich wichtigen Beitrag geleistet. So hat sich vielleicht doch bewahrheitet, was MüBö nie gerne hören und lesen mochte (z.B. in der „Süddeutschen“ anno 2000): Er ist doch der heimliche Bildungsminister.
Post Scriptum: Querköpfe gibt es im Management der Hochschulen noch immer: Sie nennen sich heute nicht mehr Controller, sondern Irritationsmanager und haben vorzugsweise Systemtheorie studiert. Sie wissen, dass systemübergreifende Kommunikation eine Illusion aus grauer Vorzeit ist, die zwar für die Handelnden noch immer sinnstiftend wirkt und daher unverzichtbar ist, aber der Realität an Hochschulen nicht wirklich angemessen ist. Sie gehen nicht mehr davon aus, dass sie alles besser als die anderen Akteure wissen, sondern aus Pädagogik, Neuro Sciene, Psychologie, Soziologie und Wissenschaftstheorie ist ihnen geläufig, dass selbstreferenzielle gesellschaftliche Teilsysteme wie Wissenschaft, Erziehung, Politik, aber auch das Ich eines Wissenschaftlers und eines Studierenden nicht zielfixiert von außen mittels hohem Informationsinput beeinflusst werden können, sondern lediglich mit Erfolg irritiert.
Irritationsmanagement setzt dabei doppelt an: Erstens werden selbstreferenzielle Systeme bewusst von außen irritiert, zum Beispiel, indem Wissenschaftler mit Leistungskennzahlen konfrontiert werden, die die Komplexität des Forschungsgeschehens brutal reduzieren. Dabei wissen auch die IMs, dass sie die Realität nicht abbilden (und daher falsch liegen können), Wissenschaft sich davon aber irritieren lassen muss, weil Geld, hochschulinternes Image und Profil usw. davon abhängen. Wie diese Irritation in das interne Programm der Wissenschaft umgesetzt wird, kann niemand vorher wissen, aber man kann die Wirkung beobachten und versuchen, für das nächste Mal daraus zu lernen. Zweitens hat IM die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Irritiertsein nicht als Katastrophe gilt, sondern die Bedingung der Möglichkeit für Neues darstellt. Und Fortschritt durch Neuerungen ist auch anno 2015 noch unverzichtbar, obwohl es das legendäre Innovationsministerium nicht mehr gibt, was wiederum zeigt, dass früher nicht alles schlechter war.
Rainer Ambrosy und Steffen Heise