Stanford, am 21. Januar 2017
Liebe Freunde in Deutschland –
Wir hatten uns für den gestrigen Auftritt unseres neuen Präsidenten ja schon auf einiges gefasst gemacht – aber diese Rede war dann doch noch einmal ein fürchterlicher Schock. Das war der Donald Trump, den man schon aus dem Wahlkampf kannte, aber noch ein Stück brutaler und noch weniger daran interessiert, zu vermitteln oder gar zu versöhnen. Das war nicht die Übernahme eines demokratischen Mandats, sondern das Ergreifen von Macht, für das der Tribun den Volkswillen selbstherrlich in Anspruch nimmt. So sieht Populismus in Reinkultur aus, so arrogant kann der Griff nach der Macht daherkommen – verbrämt von den bunten Versatzstücken der amerikanischen Überlieferung, aber im Kern rücksichtslos autokratisch. Wo scheinheilig davon die Rede ist, dem „Volk“ sein Recht auf Selbstbestimmung zurückzugeben, steht in Wirklichkeit eine neue Ordnung an, die mit Teilhabe, Toleranz, Verständigung und Solidarität nichts zu tun haben will und die für ihre gestern noch jubelnden Anhänger herbe Enttäuschungen bereithält; die Demontage der Krankenversicherung wird die erste sein. Das passt genau in das Bild, das die Ernennungen des Kabinetts und des Mitarbeiterstabs in den letzten Wochen schon gezeichnet hatten – eine Ansammlung von reichen Machern, denen die Nuancen behutsamer Politik so fremd sind wie die Alltagsprobleme der Menschen in Amerika.
Mäßigung und Bereitschaft zur Verständigung ist auf der Bühne dieses Trauerspiels nicht zu erwarten. Die republikanische Partei hat sich auf Donald Trump eingelassen und ist nun ihm und seinem nationalistischen und protektionistischen Programm ersatzlos ausgeliefert; die demokratische Partei ist aus dieser Wahl geschwächt und führungslos hervorgegangen; und die alles entscheidende Vakanz im Obersten Gerichtshof wird jetzt von Präsident Trump besetzt. Herrliche Aussichten, für Amerika und die Welt.
Der Widerstand gegen diese neue Herrschaft muss jetzt aus eben dem „Volk“ kommen, das der neue Tribun als seine Claqueure vereinnahmt – und die heutigen Demonstrationen von hunderttausenden amerikanischer Frauen in Washington und vielen anderen Städten sind ein hoffnungsvoller Beginn. Der Widerstand muss und wird auch – zurück zu den Anfängen dieser Republik! – aus den Einzelstaaten der USA kommen, von denen viele sich mit dem Dirigat der neuen Bundesregierung nicht abfinden werden; Kalifornien steht hier schon in vorderster Front bereit.
Wir sind betroffene Zeugen einer tragischen Wende in der Geschichte eines großen Landes; über das Zustandekommen dieser Wende wird noch viel nachzudenken sein – auch im Interesse der Länder, deren hochgemute populistische Vertreter sich in diesen Tagen – im Glanz des Trump’schen Erfolges – in Koblenz versammelt haben; denn die Trumps sind überall. Ich habe bisher sorgsam vermieden, historische Parallelen zu ziehen – man verliert dabei oft den Blick für historische Einzigartigkeiten; aber ich muss inzwischen gestehen, dass sich bei der Betrachtung von Donald Trump die Bilder von 1933 unwiderstehlich aufdrängen.
Da war es gerade heute wichtig und nachgerade heilsam, die bemerkenswerte Rede zu lesen, die Joachim Gauck zum Abschied aus seinem Amt gehalten hat. Hier hat sich demokratische Verlässlichkeit mit wacher, kritischer Aufmerksamkeit zu einem wirklich überzeugenden Wegweiser in die Zukunft verbunden – eine Zukunft, in der (so Gauck) das Recht nicht in der Hand der Macht ist.
Zu einer solchen Zukunft, davon bin ich überzeugt, wird auch dieses Land zurückfinden, aber es wird ein langer und steiniger Weg werden. Die Kräfte dafür, diesen Weg zu gehen, könnte die Welt für Besseres nutzen.
Mit besorgten, aber herzlichen Grüßen –
Hans Weiler
Dieses Schreiben habe ich mit Einwilligung von Hans ungekürzt übernommen, weil ich meine, dass wir – auch durch die Kraft des Wortes – Widerstand leisten müssen – in den USA wie in Europa. Hans Analysen sind mittlerweile fortgeführt in
Notizen aus dem Land der unbegrenzten Trostlosigkeiten 29. Oktober 2018
Nachlese aus einem verwüsteten Weinberg 9. November 2020
Was, denke ich, in jedem Fall stark an 1933 erinnert, ist der Glaube, so schlimm wie gedacht, würde es nicht werden. Bei Trump hieß es immer wieder „Na, er wird ja noch präsidialer werden“, so wie im Wahlkampf wird er nicht als Regierungsoberhaupt auftreten. Ich fürchte, da täuschen sich einige.
Und wenn die Regierungssprecherin die eigene Sichtweise als „alternative Wirklichkeit“ bezeichnet, dann wird „Postfaktisch“ zum Medienleitbild.
Auch wie damals, richtig ist was nützt.